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Die Angst vor den anderen - das Desaster im Home-Office

Marc saß zu Hause in einer international besetzten Telefonkonferenz. Außer seinem Chef und zwei seiner Kollegen kannte er niemanden in der Runde. Besprochen wurde der Ablauf des aktuellen Projektes. Es gab einige Dinge, über die man dringend reden musste, da sie aus dem Ruder liefen. Marc selbst hatte seinen Anteil an diesem Projekt bereits abgeliefert und sollte laut den Worten seines Chefs einfach nur mit reinhören, um auf dem Laufenden zu bleiben.

Plötzlich vernahm er die Worte „Marc, zeige unseren Kollegen kurz …“

Den Rest des Satzes bekam er nicht mehr mit. Er begann zu schwitzen, und er hatte das Gefühl, dass sich eine eiserne Hand um seinen Hals legte. Was war nur los mit ihm? Marc hatte nichts für dieses Meeting vorbereitet. Und was auch? Sein Chef hatte nichts dergleichen angedeutet.

In der Luftfahrt sorgen bewusst geschulte Wahrnehmungsfähigkeiten und das richtige soziale Verhalten für ein reibungsloses Zusammenspiel der unterschiedlichen Persönlichkeiten im Flugzeug. Kapitän und Co-Pilot fallen in ihrer Rolle als Manager und Vermittler eine extrem verantwortungsvolle Funktion zu, um mit aufkommenden Krisen und Notfallsituationen professionell umgehen zu können.

Die Methoden, die Piloten in bedrohlichen Situationen anwenden, lassen sich auch auf Ihr Business übertragen und sogar in Flugsimulatoren trainieren.

Zurück auf den Boden der Tatsachen:

Marc hatte schon öfter in diesen Telefonkonferenzen mitdiskutiert und das alles in englischer Sprache. Und ganz plötzlich war alles in ihm blockiert. Seine Sätze klangen wie zufällig zusammengewürfelt und ihm fehlten die Worte, und die englischen noch dazu. Überhaupt hatte er das Gefühl, dass seine Stimme zitterte, dass sie auch seltsam anders klang als er es gewohnt war. Und zum ersten Mal schoss ihm durch den Kopf, was die anderen wohl jetzt gerade von ihm dachten. Von seiner souveränen Ausstrahlung war scheinbar nichts mehr übrig. Und nun?

Angst vor dem Sprechen gehört mit zu den größten Hemmungen, die in Gesprächen mit anderen Menschen auftreten können. Das Interessante daran ist, dass sie verbreiteter ist, als wir alle glauben.

Die Geschichte stellt keinen Einzelfall dar. Im Gegenteil. Gerade Menschen, für die persönliche Kontakte essenziell sind, fühlen sich unwohl, wenn sie sich in einer distanzierten Umgebung ohne scheinbare Reaktion der anderen äußern müssen.

Aber was passiert in dem Moment mit uns? Warum sind wir plötzlich sprachlos? Warum treibt es uns den Schweiß auf die Stirn? Warum zweifeln wir an unseren eigenen Fähigkeiten? Warum fällt es uns schwer, unsere Ansichten zu vertreten und ruhig darüber zu diskutieren?

Die Wissenschaft hat eine Erklärung dafür. Eine repräsentative und groß angelegte Befragung aus verschiedenen Berufsschichten ergab, dass ca. 90 % aller Befragten von diesem Phänomen heimgesucht werden. Das gilt selbst für eloquente Keynote Speaker, gestandene Geschäftsführer, ans Rampenlicht gewöhnte Schauspieler, Verkäufer und viele andere aus dem öffentlichen Leben, die bereits jahrelang im Geschäft sind.

In diesen Momenten haben wir Angst zu versagen. Dadurch steigen Blutdruck und Nervosität. Der Blick ist alles andere als gefestigt, wenn nicht gar jeglicher Augenkontakt in die Augen des Gegenübers oder in die Kamera vermieden wird. Wir befürchten, dass Kollegen, Kunden, Vorgesetzte ein falsches Bild von uns bekommen.

Daneben setzen wir uns selber zusätzlich unter Druck, weil wir den fatalen Eindruck der Unsicherheit unbedingt vermeiden wollen. Damit sind wir dann so beschäftigt, dass die Selbstkontrolle bei der Körperhaltung, der Stimme, dem Blick und unserem Wirken auf die anderen teilweise versagt. Und wenn dann noch die Qualität unserer Internetverbindung in Form von schlechtem Bild und Ton zu wünschen übriglässt, ist das Maß voll. Wir sind schlicht und ergreifend in dieser Situation überfordert.

Als hätten wir nicht genug mit uns zu tun, türmt sich vor unseren Augen ein zusätzliches Problem auf: Wir müssen eine Entscheidung treffen. Angriff oder Flucht sind dabei die einzigen Optionen, wenn wir bemerken, dass uns die Kontrolle über das Geschehen entgleitet. Abwarten, was auf uns zukommt, ist dagegen keine gute Option.

Sie haben sich für Angriff entschieden? Gut so!
Denn Flucht signalisiert, dass wir der Aufgabe nicht gewachsen sind. Das würde uns für viele zukünftige anspruchsvolle Aktivitäten disqualifizieren.

Das Gute an dieser Wahl ist, dass wir unseren Angriff mit diversen Methoden trainieren können.

Wenn Sie wissen, wie Sie auf solche Situationen reagieren, können Sie auch lernen, damit umzugehen. Das gibt Ihnen die notwendige Sicherheit für den weiteren Verlauf eines Gespräches, da Sie den Ablauf Ihrer Reaktionen kennen. Noch eine gute Nachricht: mit individuellem Training können diese Symptome nach kurzer Zeit verschwinden und Sie sind wieder Herr der Lage.

Bevor wir konkrete Maßnahmen ins Auge fassen können, was Sie in solchen Situationen tun können, ist es ratsam, sich einige Fragen im Vorhinein ehrlich zu beantworten.

Szenario 1: Wenn es gut für Sie läuft:

Wodurch zeichnet sich Ihre Ausstrahlung auf andere Menschen aus (Aussehen, Stimme, Körpersprache …)

Welches Umfeld benötigen Sie, damit diese Ausstrahlung voll zur Geltung kommt?

Was gibt Ihnen Sicherheit?

Szenario 2: Wenn es besser laufen könnte:

Welche Symptome zeigen Ihnen an, wenn Sie unsicher werden?

An welchem Punkt startet Ihr erstes Symptom?

Welche Symptome haben das Potenzial, Sie zu blockieren?

Was passiert in dem Moment genau mit Ihnen?

Welche Maßnahmen aus vergangenen Situationen haben Ihnen bereits geholfen?

 

Die Strategie unseres Angriffs:

Selbstbewusstes Auftreten – fester Augenkontakt – überzeugende Stimme

 

Auftreten im Homeoffice:

Eine vertrauensvolle, helle und freundliche Umgebung an Ihrem Arbeitsplatz vermittelt Vertrautheit, für Sie und auch für die Teilnehmer.

Nichts ist schlimmer, als wenn Ihr übertragenes Bild bei den Teilnehmern verpixelt und Ihre Stimme nur blechern zu verstehen ist. Daher sind Sie gut beraten, sich eine hochwertige Webcam und ein leistungsfähiges Mikrofon zuzulegen, damit Sie wahrgenommen werden wie Sie wirklich sind. Beides gibt Ihnen zusätzliche Sicherheit.

Sollten Audio- und Videoausstattung nicht vom Arbeitgeber in der gewünschten Qualität zur Verfügung gestellt werden, überlegen Sie, ob Sie selbst Geld für zusätzliches Equipment und damit einen gelungenen Auftritt in die Hand nehmen.

Bevor die Telefonkonferenz startet, werden Sie bereits optisch gescannt und einsortiert; da haben Sie noch kein Wort von sich gegeben. Sorgen Sie also mit ihrer Kleidung und einem netten Aussehen für einen guten ersten Eindruck.

Seien Sie sich dessen bewusst, dass die Teilnehmer die Möglichkeit haben, Sie in der Größe ihres gesamten Bildschirms darzustellen und Sie zu beobachten. Umso wichtiger ist Ihr persönliches Erscheinungsbild in solchen Momenten.

Körpersprache ist das Salz in der Suppe. Versuchen Sie daher, möglichst viel davon zu transportieren. Das geht zum Beispiel durch Einsatz Ihrer Hände. Wenn Sie die Gelegenheit haben, sich vor Ihren Tisch zu stellen, dann tun Sie das. Positionieren Sie die Kamera des Laptops auf Augenhöhe. Dann haben Sie eine ganz andere Körperhaltung als wenn Sie auf Ihrem Stuhl sitzen.

Beugen Sie vor und planen Sie stets ein, unvorbereitet in eine Situation hineingezogen zu werden (Ihr Plan B). Legen Sie sich einen Standardsatz parat, den Sie in diesem Moment abrufen können. Dann haben Sie allemal bessere Karten als Marc. Je nachdem, welches Ziel Sie mit ihrem Vortrag erreichen möchten, ist es ratsam, sich auch einen Abschlusssatz im Vorhinein zu überlegen.

Gehen Sie vor der Konferenz die Symptome durch, die Ihnen am meisten in einer solchen Situation zu schaffen machen könnten. Legen Sie sich eine entsprechende Vorgehensweise zurecht.

Sollten Sie bemerken, dass Sie unsicher und nervös werden, motivieren Sie sich selbst. Sätze wie z.B. „Nichts und niemand wird mich aus der Ruhe bringen“ oder „Ich weiß, was ich weiß und dazu stehe ich“, können eine gute Hilfe sein. Kämpfen Sie für Ihre Ergebnisse und Ihre Ideen!

Ein „Ausstiegsszenario“ (z.B. Bilder von Urlaub, Familie….) kann helfen, wenn es besonders eng für Sie wird und Sie nicht wissen, wie Sie aus dieser Nummer wieder herauskommen sollen.

Eine kurze spontane Änderung der Blickrichtung verschafft Ihnen eine Verschnaufpause durch gedankliches Loslassen Ihrer verkrampften Haltung.

Und in der größten Not sagen Sie es einfach, dass Sie gerade nervös sind. Fügen Sie eine kurze Pause ein und lächeln Sie dabei. Wenn Sie das Gefühl haben, die Pause ist viel zu lang, ist sie genau richtig.

Was passiert denn wirklich? Niemand wird Ihnen den Kopf abreißen. Sie werden erleben, dass einige Zuhörer in der Runde z. B. durch Kopfnicken Verständnis bekunden.


Augenkontakt:

Kein Empfinden im Home-Office ist befremdlicher als in eine Kamera zu blicken, um den Zuhörern in die Augen zu schauen. Hier hilft nur eines: üben, üben, üben!

Nur dadurch lässt sich eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber dieser Situation erreichen. Trainieren Sie bei gleichbleibendem Redefluss, den direkten Blick in die Kamera aushalten zu können, ohne wirklich jemanden zu sehen. Denken Sie daran, dass Sie nur dann die anderen Teilnehmer direkt anschauen.

Möglichkeiten zum Trainieren bieten sich reichlich. Entweder in persönlichen Telefonkonferenzen mit Menschen aus Ihrem vertrauten Umkreis (Familie, Freunde …) oder durch die Hinzunahme eines professionellen Coaches, der Sie auf dem Weg zu einer selbstsicheren Persönlichkeit begleitet.

Stimme:

Gerade die Stimme ist im Home-Office mit das Wichtigste, um anderen Menschen ein Bild von sich zu vermitteln. Besonders dann, wenn ein erster Eindruck damit verbunden ist.

Ihre Stimme mit Tonhöhe, Schnelligkeit, Pausen sagt viel über Ihre Souveränität und Ihren inneren Zustand aus. Ihre Stimme bestimmt, ob Sie ängstlich, mutig, freundlich oder sympathisch aufgelegt sind. Auch für die Teilnehmer in Ihrer Videokonferenz ist Ihre Stimme wichtig. Kommen Sie unsympathisch rüber, wird man Sie eventuell nicht mit offenen Armen willkommen heißen. Wirken Sie unsicher, wird man Ihnen nicht viel zutrauen.
Hier bewahrheitet sich wieder einmal der Spruch: “Wie es in den Wald hineinschallt …“

Das Gute an der Stimme ist, dass auch sie sich trainieren lässt. Ganz im Sinne des Bildes, das Sie verkörpern möchten. Professionelle Stimmtrainer können dafür sorgen, dass Sie immer den richtigen Ton treffen.

 

Zu guter Letzt:

Dieser Blog stellt natürlich nur einen kurzen Ausflug in einige Aspekte dar, mit denen wir im Home-Office zu kämpfen haben. Jedes Thema lässt sich vertiefen und gezielt trainieren. Wichtig ist, dass Sie bereit sind, diesen Weg zu gehen.

Schreiben Sie mir, welche Herausforderungen für Sie im Home-Office besonders fordernd sind, wie Sie sich darauf vorbereiten und welche Erfahrungen Sie gemacht haben.

 

Robert Stolz